DER LANGE WEG ZUM WATTWANDERN  

Wandern ist ein Wort, dass die meiste Zeit meines Lebens nicht zu meinem aktiven Wortschatz zählte, weil ich Wandern nicht leiden konnte. „Wandern ist eine Form weiten Gehens“, so die in Wikipedia nachzulesende Definition und genau da lag das Problem. Besonders unangenehm wurde es für mich, wenn zu dem Wandern noch ein Substantiv hinzukam, so wie etwa BERGwandern. Weit gehen und dann auch noch bergauf und -ab, meine norddeutsche Herkunft sollte mir da immer im Weg stehen. „Wir laden Dich ein zum Wandern im Schwarzwald“ war vor einigen Jahren ein Geschenk meiner besten Freunde, dass ich daher nicht ausschlagen wollte. Obwohl ich immer dachte, ich könnte niemals so alt werden, dass jemals eine Wanderreise in den Schwarzwald zu meinem Leben gehören könnte, fand ich es zwar durchaus anstrengend, aber zu meiner Verwunderung auch ebenso schön. Schon damals schwante mir, dass dem Wandern etwas Meditatives innewohnt und es nicht nur den Blick frei macht.  

Kommen wir nun zu Cuxhaven und der Variante WATTwandern. Sie ist mir sehr vertraut aus Wort und Schrift und war immer mit meinem Geburtsort verbunden, aber in gleichem Maße auch uninteressant. Als Kind bin ich bei einem kurzen Weg ins Watt, vielleicht fünf Meter vom Strand entfernt, einmal in einen Krebs getreten, der selbst bei meinem damaligen Leichtgewicht nicht in der Lage war sein Leben mit seinem Panzer zu verteidigen. 

Der Anblick meines Fußes und dem zwischen den Zehen hervorquellen Lebenssaft des Krustentieres hat meine Aversion gegen das Watt sogleich frühkindlich geprägt und weder meine Eltern noch meine Großeltern haben mich je vom Gegenteil überzeugen können. Mir vermittelte sich der zudem der Eindruck, dass sowieso nur Touristen durch das Watt laufen und Einheimische dies tunlichst vermeiden – bei meiner Verwandtschaft war es zumindest so. Als ich mich entschloss, Cuxhaven erstmalig zu meiner Heimat zu machen, war dies gepaart mit dem Vorsatz, dann aber auch unbedingt die Vorteile dieses Ortes gänzlich auszukosten. Also das zu tun, weswegen Millionen von Menschen hierherkommen, um die kostbarste Zeit ihres Jahres zu verleben. Und so bin ich also doch noch ins Watt gelaufen, ganz weit hinaus, denn ich wollte bis zu dem großen Priel, dem bei der Sandbank, von dem man mir mehrmals vorgeschwärmt hatte. Und ich bin sehr lange gelaufen, also weit gegangen und damit per Definition gewandert, exakt gesagt, wattgewandert! Ich war mehrere Stunden im Watt, war schwimmen in dem herrlichen Priel an einem hellen Sandstrand und fragte mich, wieso man eigentlich noch zehn Stunden in ein Flugzeug steigen müsse, wenn das Gute direkt vor der zukünftigen Haustür liegen würde. Es war ein prägendes Naturerlebnis, denn trotz eines vollen Strandes traf ich im Watt immer weniger Menschen und hatte manchmal das Gefühl ganz allein zu sein – und ich meine nicht einsam. 

Der Blick konnte ungestört in die Weite gehen, denn flacher geht es wohl kaum und am Horizont bewegten sich die riesigen Schiffe scheinbar über den welligen Boden, denn das Wasser draußen in der Fahrrinne, in der See, war sehr lange nicht zu sehen. Es war wunderbar still um mich herum, nur ein paar Möwen wetteiferten gelegentlich mit dem Wind um den lautesten Ton. Die Sonne spiegelte sich in den verblieben, herrlich warmen Wasserreservoirs und kleinen Prielen, die Wattwürmer türmten kleine Sandhaufen beim Verschwinden von meinen herannahenden Füßen auf und die Luft war so klar und rein, dass meine Lunge mit dem Frohlocken begann. Es war ein sinnlicher Genuss, den ich nicht mehr missen möchte. Wann immer ich mich belohnen will und meine Freizeit mit den Tieden und damit den Wattwanderzeiten vereinbar ist, gönne ich mir diese Auszeit, über die ich so viele Jahre so gänzlich falsch ge(vor)urteilt habe.  Ein paar Dinge sollte man allerdings beachten, allem voran natürlich die Wattwanderzeiten, denn auch dieses stille und ruhige Idyll kann sich in kürzester Zeit zu einem bedrohlichen Naturphänomen wandeln. Ohne jeglichen Schatten ist Sonnencreme unabdinglich, ein Schluck Wasser im Rucksack eine Notwendigkeit und Hut, Kappe oder Tuch können sehr wohltuend eingesetzt werden. Ich bevorzuge zudem Wattschuhe, damit ich den Blick auch wirklich in die Ferne schweifen lassen kann und nicht ständig auf die Kollision mit oft sehr scharfkantigen Muscheln oder besagtem Krebsgetier achten muss. Also los, gehen Sie ins Watt, wandern Sie sich glücklich und Beginnern sei gesagt, sie können dies auch in geführten Gruppen tun; das ist ein interessanter und sicherer Einstieg.   

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